Hat Merz die richtigen Antworten?

Shownotes

Shownotes (mit Markdown):

Gast: Mariam Lau, politische Korrespondentin der Zeit. Sie hat ein neues Buch über Friedrich Merz geschrieben, das zum Zeitpunkt des Podcasts (23. Mai) erscheint: "Merz. Auf der Suche nach der verlorenen Mitte, Ullstein Verlag, 336 Seiten, 24,99 Euro. Host: Konrad Göke, Chefredakteur politik&kommunikation

Zentrale Themen und Thesen:

Merz als Kanzler – Erste Eindrücke und das neue Buch:

  • [00:00:00] Konrad Göke leitet ein: Friedrich Merz ist Bundeskanzler. Er stellt Mariam Lau und ihr neues Buch über Merz vor.
  • [00:00:58] Mariam Lau schildert ihren Eindruck von Friedrich Merz nach einem Interview: Er wirke beeindruckt von seiner neuen Rolle, aber gleichzeitig routiniert im Umgang mit internationalen Partnern (Brüssel, Warschau) und zeige großen Tatendrang.
  • [00:01:33] Mariam Lau erklärt, dass Merz ihr Buch noch nicht gelesen habe, sie ihm aber ein Exemplar mit Widmung zukommen lassen werde.

Die "Suche nach der verlorenen Mitte" – Buchtitel und Bedeutung:

  • [00:02:27] Mariam Lau erläutert den Untertitel ihres Buches "Der sucht nach der verlorenen Mitte". Der Titel sei vor der "verunglückten Kanzlerwahl" entstanden, illustriere aber perfekt die Notwendigkeit für Merz, auch bei Parteien wie Die Linke oder Die Grünen um Zustimmung für Stabilität und Demokratie zu werben.
  • [00:03:19] Mariam Lau argumentiert, dass Parteien wie Grüne oder Linke im Sinne der Stabilität über ihren Schatten gesprungen seien. Sie fragt, wo Merz Ähnliches tun würde, verweist aber auf sein Mitwirken bei der Zeitenwende (Sondervermögen) und die Zustimmung der Union zu vielen Ampel-Anträgen, oft jedoch bei Brüssel-bedingten "Vollzugssachen".

Merz' politische Prioritäten als Kanzler:

  • [00:04:31] Auf die Frage nach Friedrich Merz' Prioritätenliste angesichts der Riesenerwartungen nennt Mariam Lau an erster Stelle das Thema Migration, wo Merz durch eine Geste des Umschaltens ein wichtiges Signal setzen wolle.
  • [00:05:03] Als zweite Priorität führt Mariam Lau die Wirtschaft an, mit dem Ziel, bessere Abschreibungsmöglichkeiten und sinkende Energiepreise bis zur Sommerpause zu erreichen.
  • [00:05:25] Den europäischen Zusammenhalt bezeichnet Mariam Lau als dritte, im Herzen vielleicht sogar erste Priorität für Merz, geprägt durch seine Zeit im Europäischen Parlament ab 1989 während einer Phase großer europäischer Euphorie und des Zusammenwachsens (Maastricht).

Außenpolitik und europäischer Zusammenhalt:

  • [00:06:26] Bezüglich der Wirkung von Merz' Antrittsbesuchen (Frankreich**, *Polen*, *Ukraine* mit Keir Starmer und Macron) und ob sich substanziell etwas bewege, äußert sich Mariam Lau [00:06:57] unsicher über konkrete Ergebnisse europäischer Sanktionen ohne die USA. Sie sieht aber die Möglichkeit eines europäischen Ultimatums an Putin (z.B. Lieferung von Taurus) als näher gerückt und betont die Wichtigkeit des europäischen Zusammenhalts unabhängig von den Amerikanern.
  • [00:08:10] Zur Aufteilung zwischen dem Kanzleramt (mit dem Nationalen Sicherheitsrat) und dem CDU-geführten Außenministerium unter Wadephul sieht Mariam Lau [00:08:30] beim Besuch in Israel den Versuch des Außenministers, eigenständige Töne anzuschlagen (Bekräftigung der Staatsräson, aber auch Hinweis auf humanitäre Pflichten Israels). Sie glaubt nicht an einen Kollisionskurs, sondern sieht ein Außenministerium, das eigene Aktivitäten entfaltet.

Merz' konservatives Selbstverständnis und der Umgang mit der AfD:

  • [00:09:55] Auf das Zitat aus ihrem Buch, Merz sei ein "Konservativer in einer Ära der Autoritären", der sich den Titel "konservativ" immer neu verdienen müsse, definiert Mariam Lau [00:10:15] konservativ als Verantwortung für die Stabilität der demokratischen Ordnung. Sie kritisiert Merz' Vorgehen bei der Migrationswende im Januar ("Höllenwoche"), wo er ohne Rücksicht auf Verluste einen "Unfall gebaut" habe, indem es zu einer gemeinsamen Abstimmung mit der AfD kam. Dies sei unnötig gewesen und habe nur gezeigt, dass Merz im Zweifel doch Dinge mit der AfD mache, was zu Demonstrationen führte. Dies sei nicht konservativ.
  • [00:12:38] Auf die Frage, warum viele Merz die Abgrenzung zur AfD nicht abnehmen, glaubt Mariam Lau [00:12:59], viele seien nicht bereit, den Unterschied zwischen rechts und rechtsextrem zu machen und dass Merz gelegentlich (selten geworden) Ausbrüche ins Ressentiment habe (Beispiel: "Flüchtlinge lassen sich die Zähne machen"). Dies nähre den Verdacht von Sympathien für die AfD, obwohl sie ihm diese nicht unterstellt. Die CDU müsse hier noch einen guten Ton finden.

Populismus, Emotionen und politische Kommunikation:

  • [00:14:29] Zu einem Vergleich von Merz' "Sofortismus" mit Donald Trumps Populismus differenziert Mariam Lau [00:15:01]: Populismus (Leute begeistern wie Boris Pistorius) sei nicht das Problem bei Trump, sondern dessen Agieren aus Ressentiment, Hass und Verachtung. Merz' Geste der Entschiedenheit (z.B. nach dem Mord in Aschaffenburg) sei nicht nur falsch gewesen, da die Leute sehen wollten, dass es den Politiker etwas angeht – ein Kontrast zum "schmallippigen" Stil von Olaf Scholz.
  • [00:17:33] Angesprochen auf das richtige Maß an Emotionen für einen Kanzler, nachdem Scholz' "never explain, never complain"-Ansatz nicht lange funktionierte, meint Mariam Lau [00:18:35], ein Kanzler solle zeigen, dass er aus Fleisch und Blut ist, sich aber nicht von Emotionen "wegtragen lassen".
  • [00:19:10] Zu Merz' Reaktion beim Durchfallen im ersten Kanzlerwahlgang vermutet Mariam Lau [00:19:41], Merz habe sich dies durch seinen Wahlkampfstil (teils mit Verachtung gegenüber SPD und Grünen) selbst eingebrockt. Sie kritisiert aber auch Abgeordnete, die ihren Kanzlerkandidaten in so einem Moment hängen lassen.

Personalpolitik und Kabinettsbildung:

  • [00:21:57] Zu Merz' Personalpolitik, insbesondere im Vergleich zu Angela Merkel, die keine starke "Nummer zwei" neben sich geduldet habe, stellt Mariam Lau [00:22:23] fest, dass im Kabinett Merz niemand sei, der als sehr eigenständiger Kopf mit hohem Bekanntheitsgrad gilt (anders als bei Armin Laschets Kabinetten mit Persönlichkeiten wie Herbert Reul). Merz sei dieses Risiko nicht eingegangen und habe auf persönlich bekannte und verlässliche Personen gesetzt.
  • [00:23:29] Mariam Lau betont jedoch, dass bei der Besetzung im Kanzleramt (Spitzenbeamte) auf Exzellenz geachtet wurde, auch mit Personen aus SPD- oder Grün-geführten Häusern, die Professionalität und diplomatisches Geschick mitbringen.

Repräsentation Ostdeutschlands:

  • [00:24:35] Angesprochen auf die Kritik an fehlenden prominenten Gesichtern aus Ostdeutschland im Kabinett (Diskussion um Wirtschaftsministerin Katharina Reiche) und die Idee, Rainer Haseloff einzubinden, vermutet Mariam Lau [00:25:17], Haseloff werde in Sachsen-Anhalt gebraucht, um einer absoluten Mehrheit der AfD entgegenzuwirken. Zur Kritik an Reiche (Brandenburgerin, die länger nicht dort lebte) meint sie, dass angesichts der Energiepreise eine Energiepolitikerin wichtiger sei als Regionalproporz, versteht aber den Wunsch nach mehr Repräsentanz.
  • [00:26:41] Auf die Frage, warum die Eigenschaft "ostdeutsch" leicht verloren gehe, aber schwer erworben werde, erkennt Mariam Lau [00:26:53] Ungerechtigkeiten (z.B. wenige Universitätspräsidenten aus dem Osten) und versteht den Wunsch nach mehr Repräsentanz, betont aber die aktuell brenzlige Gesamtlage.

Herausforderungen in der Koalition (SPD, CSU):

  • [00:27:43] Bezüglich möglicher Fliehkräfte in einer Merz-Regierung, ähnlich wie bei Scholz mit der FDP und dem Haushaltsproblem, sieht Mariam Lau [00:28:13] eigene Probleme: Die SPD müsse sich neu sortieren (Partei der Arbeitenden vs. Partei der Akademiker/Beamten), was sich in der Auseinandersetzung ums Bürgergeld zeige. Sie müsse klären, wie sie mit dem Migrationsthema und dem Abwandern von Wählern zur AfD umgeht, und verweist auf Dänemark als Beispiel für erfolgreiche Sozialdemokraten mit harter Migrations- und Leistungsorientierter Sozialpolitik.
  • [00:30:09] Ob die Selbstbeschäftigung der SPD ein Problem für Merz sei, beantwortet Mariam Lau [00:30:29] dahingehend, dass sie erwartet, dass Sozialpolitik und europapolitische Fragen im Kontext Migration immer wieder Probleme bereiten werden. Bei Interessenkonflikten zwischen deutschen und europäischen Interessen sei offen, wofür sich Merz entscheiden würde, während Sozialdemokraten oft europäische Interessen (z.B. Erhalt von Schengen) voranstellen würden.
  • [00:33:22] Zum Verhältnis von Merz zu Markus Söder (CSU) rät Mariam Lau [00:33:39] zur Vorsicht; von Loyalität sei nicht auszugehen. Aktuell herrsche Burgfrieden (u.a. wegen ähnlicher Haltung in der Migrationsfrage). Sie erwähnt den Vorfall, bei dem Merz Dobrindt bat, nicht zeitgleich an die polnische Grenze zu fahren, als Indiz für potenzielle Konflikte, insbesondere bei Kollision deutscher und europäischer Interessen.
  • [00:34:49] Zur Rolle von Carsten Linnemann als CDU-Generalsekretär, der der Partei eine "eigene Stimme" geben wolle, glaubt Mariam Lau [00:35:17], dass Linnemann diese Rolle spielen kann, da Merz es zulasse. Linnemann sei aber enttäuscht gewesen, dass Merz nicht stärker um das Ressort Arbeit und Soziales gekämpft habe.

Die Rolle von Jens Spahn:

  • [00:36:08] Angesprochen auf Fraktionschef Jens Spahn und die Sorge, er könne sich von der AfD zum Kanzler wählen lassen oder die Fraktion als Machtbasis gegen Merz nutzen, hält Mariam Lau [00:36:44] die Personalie für riskant, da Spahn zu den Kronprinzen gehöre und die Fraktion eine Bastion werden könne. Sie sieht Spahn jedoch in der Rolle des Fraktionschefs gezwungen, sich klar von der AfD abzugrenzen, da er direkt auf Alice Weidel im Parlament antworten müsse. Sie unterstellt ihm aber, in vielen Fragen ähnlich wie die AfD zu ticken und "ab und zu mal den Zeh ins Wasser zu halten".

Biografische Aspekte, Recherche und Merz' Entwicklung:

  • [00:31:01] Zur Balance zwischen Privatleben und öffentlichem Leben beim Schreiben eines Buches über einen Politiker, unter Verweis auf Kapitel zu Merz' Großvater (NS-Vergangenheit) und seinem Umgang mit Frauen (Abstimmung zur Vergewaltigung in der Ehe), erklärt Mariam Lau [00:31:48], sie schreibe nur, was sie wisse und respektiere die Privatsphäre. Sie würde gerne wissen, ob Merz zu Hause tatsächlich Diskussionen mit Frau und Töchtern über seine Aussagen führt, wie er behauptet. Die Familienorientiertheit (Merz sei sehr eng mit seinen sieben Enkeln) spiele eine Rolle, fließe aber nur in Grenzen ein.
  • [00:33:20] Nach den ersten Quellen für die Recherche befragt, stellt Mariam Lau [00:33:39] klar, dass sie keine Biografie schreiben wollte, sondern thematisch vorgegangen ist und Merz in eine "Kulisse von Leuten" stellt, die ihn oder Themen/die Partei prägen, um ihn deutlicher zu machen – wie "Tortenstücke" des ganzen Kuchens.
  • [00:34:36] Mit dem Zitat des Soziologen Andreas Reckwitz zur "Verlusterfahrung" der modernen Gesellschaft konfrontiert und gefragt, ob Merz darauf eine Antwort habe, bejaht Mariam Lau [00:35:04] dies. Der Schrecken über Arbeitsplatzverluste (VW, Siemens) oder Veränderungen im Stadtbild sei real. Merz könne nicht alles retten (z.B. die Autoindustrie in gewohnter Form), müsse aber behutsam zwischen Bewahren und Modernisierungsnotwendigkeit vermitteln. Die Besetzung des Kulturstaatsministeriums mit Wolfram Weimar sei ein Signal für einen geweiteten Blick auf die deutsche Geschichte (inkl. Vertriebenen-Erfahrungen), um Geborgenheit durch Erinnerung an gemeinsame Zeiten (z.B. positive Aspekte der Weimarer Republik oder der 50er Jahre, Verweis auf Autor Harald Jähner) zu erzeugen.
  • [00:38:19] Zu Merz' Entwicklung nach seiner langen Abwesenheit vom politischen Betrieb und wo er sich "geupdatet" habe, glaubt Mariam Lau [00:38:48], Merz sei mit Entwicklungen wie Rechten von Schwulen und Lesben nicht mehr vertraut gewesen und habe sich früher im Ton vergriffen (Beispiel Klaus Wowereit). Sie habe den Eindruck, er habe es genossen, eigene Scheuklappen abzuwerfen.

Wirtschaftspolitische Herausforderungen und das Schuldenpaket:

  • [00:39:51] Angesprochen auf die wirtschaftspolitische Kehrtwende durch das Schuldenpaket und ob die Regierung Merz das Geld effektiv einsetzen könne, anders als beim Digitalpakt, berichtet Mariam Lau [00:40:38], Merz wirke im Interview entschlossen. Der Plan sei eine Kombination aus Resilienzstärkung (auch rüstungspolitisch: Drohnen, Panzer, Luftabwehr) und Wachstumsförderung, z.B. durch Umwidmung von Teilen der Autoindustrie zu Drohnen- oder Batterieproduktion. Zweifel seien jedoch wegen vieler sozialpolitischer Forderungen im Koalitionsvertrag (Mütterrente, Pendlerpauschale etc.) angebracht, die konsumtive Ausgaben ohne Wachstumseffekt seien. Merz habe sich hier wohl dem Bündnis der "S-Parteien" (CSU, SPD) gegen die ordoliberale CDU nicht widersetzen können. Ihre Hoffnung sei, dass das Budget für Infrastrukturmaßnahmen nun so groß und festgelegt sei, dass es umgesetzt werden müsse.

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